Morbus Sudeck [a]

 

       
   Caravaggio "Der ungläubige Thomas"
   
 
  Dr. med. Paul Sudeck

Es tönt wie «fake» oder eine Verschwörungstheorie und wie der heilige Thomas wünscht man sich einen Beweis, bevor man glaubt, dass es sowas gibt. Nach einem Trauma oder Operation stellen sich übermässiger Schmerz, Rötung, Schwellung und Überwärmung ein. Alle Untersuchungen wie Röntgen, MRI, Szintigraphie und das Labor bringen keine Erklärung, es ist alles «normal». Das ursprüngliche Problem, eine Fraktur z.B., mag längst geheilt sein, doch die Symptome schreiten fort.  Am Ende kann eine steife Hand mit weitgehendem Verlust ihrer Funktion resultieren. Im Allgemeinen versteht man heute das Problem als eine eigenständige Krankheit, die als Komplikation nach einem Unfall oder einer Operation entstanden ist. Die Hand ist mit Abstand am häufigsten betroffen, es gibt verschiedene Schweregrade und manchmal kann ein Zusammenhang mit einer Funktionsstörung der peripheren Nerven oder des vegetativen Nervensystems vermutet werden (@).

Über die Ursachen ist so gut wie gar nichts bekannt. Am Anfang erinnert das Bild an eine Entzündung. Da eine natürliche Heilung mit einer Entzündung eng verwandt ist, wird das Problem auch als eine überschiessende oder entgleiste Heilung beschrieben.

Es gibt wenig Evidenz. Da es keine spezifischen Symptome oder Provokationstests gibt, ist die Diagnose ein Problem. Der Übergang von anfangs normalen Symptomen ist fliessend und wenn nicht alle Sudeck-Symptome manifest sind, kann es schwierig sein die Diagnose überhaupt zu stellen (@). Für diese müssen die Budapester Kriterien von 2003 erfüllt sein. Bei denen ist aber der zentrale Punkt ein Ausschlusskriterium, nämlich ein Schmerz unbekannter Ursache, der sich sonst nicht erklären lässt.

Wenn schon die Diagnose schwierig ist, ist es die Therapie erst recht. Schmerzen müssen mit allen Mitteln bekämpft werden. Sicher muss man eine steife Hand verhindern, also ist intensive Ergotherapie sehr wichtig, allerdings nur so viel, dass keine Schmerzen oder Reizung entstehen, die den M. Sudeck zusätzlich verstärken könnten. In fortgeschrittenen Stadien werden Schmerz- und Nevenblockaden durchgeführt. Auf der medikamententösen Seite werden Radikalfänger als hilfreich gesehen und natürlich Entzündungshemmer. Nur deren König, das Kortison hilft nachweislich. Es darf aber nur kurze Zeit verabreicht werden, denn schon bald überwiegen die Nebenwirkungen. Gäbe es die nicht, wäre Kortison das wahre Wundermittel, so ist es aber nur das Fenster zum Paradies. Fenster und nicht Türe.

Es gibt zahllose Publikationen und ganze Kongresse, die sich nur diesem Thema widmen, ohne dass wirklich etwas Neues bekannt würde. Einer der Leitartikel von «Handsurgery», dem wichtigsten Publikationsorgan der Handchirurgie, hat es auf den Punkt gebracht. Die Krankheit ist so ungenau definiert, dass jeder wie der ungläubige Thomas zweifelt, bis er die Krankheit im Vollbild gesehen hat. Wenn das wichtigste Kriterium die Krankheit als «Schmerz, der sich nicht anders erklären lässt» definiert, haben wir nicht einfach nur etwas übersehen? Also zurück auf Feld 1 und zum ungläubigen Thomas: Gibt es den M. Sudeck wirklich?

 

 

[a] Morbus Sudeck (M. Sudeck) wurde nach dem Erstbeschreiber Paul SUDECK, Hamburger Chirurg, 1866-1945 benannt. Heute wird in der Regel vom Komplexen Regionalen Schmerzsyndrom (CRPS, CRP), oder Reflex Sympathetic Dystrophy (RDS) gesprochen.

 

Huracek, Mai 2021